Indien und Deutschland

Zwei Leben: Shanti und Henny

Ein Buch dass ich schon vor längere Zeit gelesen habe, ist von Vikram Seth „Zwei Leben – Portrait einer Liebe“. Der Autor erzählt die Geschichte seines Onkels Shanti und dessen Frau Henny. Das Paar war kinderlos und hat in London gelebt. Der Autor und Neffe durfte während seiner Studienzeit ihn ihrem Haus leben, so kam er ihnen nahe. Nach beider Tod schrieb er ihr Geschichte nieder.

Shanti wurde in Indien geboren, kam für sein Zahnmedizinstudium nach Berlin, wo er Henny kennen lernte. Sie war eine deutsche Jüdin, die dann im Zweiten Weltkrieg nach England flüchten musste. Ihre Mutter und ihre Schwester wurden deportiert. Shanti erlebte den Krieg als Soldat, verlor eine Hand, blieb aber in Kontakt mit Henny. Nach dem Krieg zog er ebenfalls nach London. Nach langer platonischen Bekanntschaft, heiratetet er Henny schließlich. Shanti eröffnete einarmig eine Zahnarztpraxis.

Der Roman beschreibt das Leben dieser zwei Menschen nicht nur im Text, sondern auch anhand von Fotos und Briefen. Die Figuren sind nicht idealisiert, Henny wird als eher kühle Frau dargestellt und die Schrullen des alten Onkels werde auch nicht verborgen. Die Geschichte ist wirklich schön zu lesen, allerdings auch recht traurig. Der Erzählton ist liebevoll, der Stil ist hingegen dafür, dass der Stoff dem Autor nahe geht, sehr sachlich.

Indien kommt nur am Rande vor, da Shanti einen Großteil seines Erwachsenenlebens nicht in Indien verbrachte. Aber immer wieder kommen Teile der großen indischen Familie zu Besuch zu den beiden, was die kühle Henny etwas befremdet.

Gute Alterung

Ich habe diesen obenstehende Text bereits 2009 als Teil eines Dreiteilers auf meinem alten Blog veröffentlicht. Nun, 2021, lese ich Vikram Seths Buch „Zwei Leben – Portrait einer Liebe wieder“ und bin nach wie vor begeistert. Da ich nun älter bin, verstehe ich manche Dinge besser.

Ich kann nun nachvollziehen, warum es so lange gedauert hat, dass Henny und Shanti sich aneinander gebunden haben. Zuerst stand da noch die Sache mit Hennys früheren Verlobten zwischen ihnen, der Henny verlassen hatte, weil sie eine Jüdin war. Dann waren da Shantis Zweifel, ob er mit einem Arm für ein Frau sorgen würde können. Und nicht zuletzt waren sie unsicher, ob sie ihre langjährige, tiefe Freundschaft für eine Beziehung aufs Spiel setzen sollten.

Was mir bei der zweiten Lektüre wieder das Herz gebrochen hat, waren Hennys Versuche herauszufinden, was mit ihrer Mutter und ihrer Schwester geschehen war. Und später, wer von ihren Freunden zu ihrer Familie gehalten hatte, als es brenzlig wurde und wer sich um sich nur um sich selbst gekümmert hatte. Diese seelischen Belastungen versuchte sie von Shanti fernzuhalten und vielleicht wirkte sie deshalb manchmal kühl.

Das Buch ist nicht nur ein berührendes Portrait zweier sehr unterschiedlicher Menschen, sondern mit den Fotos und Briefen ein lebendiges historisches Dokument.

Noch immer große Empfehlung!


Vikram Seth

„Zwei Leben – Portrait einer Leibe“

Verlag: FISCHER Taschenbuch

Erscheinungstermin: 01.08.2007

544 Seiten

ISBN: 978-3-596-16478-3

Übersetzt von: Anette Grube